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Nachhaltigkeit

Plastikmüll: Kommt die Lösung aus der Natur?

Ob Mode, Verpackungen oder Industrieprodukte - Startups in aller Welt arbeiten daran, mit biologisch abbaubaren Materialien Kunststoffe zu ersetzen. Der Markt boomt, Investorinnen und Investoren sehen die Chance auf nachhaltige Profite. Nun muss es den Plastik-Alternativen noch gelingen, den Mainstream zu erobern.

Datum
Autor
Karsten Lemm, Gastautor
Lesezeit
5 Minuten

In einer Halle bearbeiten Männer die Fasern der Abacá-Staude.
Einst Rohstoff für Seile, Körbe und Hüte: Die robuste Faser, gewonnen aus der Abacá-Staude, soll im Kampf gegen Plastik eine Renaissance erleben. ©Lauschsicht/QWSTION

Vom Fortschritt vergessen, wächst die Abacá-Staude in den Tropenwäldern der Philippinen und protzt mit Eigenschaften, die Materialforscher in aller Welt beeindrucken: Ihre Fasern sind reissfest, wasserabweisend und beständig. Zugleich verlangt die Pflanze, die zu den Bananengewächsen gehört, keinen Dünger, keine Pestizide, keine zusätzliche Bewässerung - sie kommt mit dem aus, was die Natur ihr zur Verfügung stellt. Schiffstaue, Seile, Körbe, Hüte: All das wurde traditionell aus den Fasern der Abacá-Staude hergestellt. "Das Material wurde auch immer schon für spezielle Papiersorten verwendet", berichtet Hannes Schoenegger. 

Ein Mann mit leicht ergrautem Haar schaut freundlich in die Kamera.
Der 53-Jährige Hannes Schoenegger ist Mitgründer der Zürcher Firma QWSTION, die Produkte aus Stoffen herstellen, die aus der Abacá-Staude gewonnen werden. © QWSTION

Der 53-Jährige ist Mitgründer der Zürcher Firma QWSTION, die sich vorgenommen hat, der Abacá-Staude zu einer Renaissance zu verhelfen. Unter dem Namen "Bananatex" vertreiben die Schweizer ein wachsendes Sortiment an Rucksäcken, Taschen und Kleidungsstücken, deren Stoff aus den Blättern der philippinischen Bananenpflanze gewonnen wird. "Wir haben entschieden, dass wir so viele natürliche Fasern und Materialien verwenden wollen wie möglich", sagt Schoenegger. Die Suche, die bei Baumwolle und Leinen begann, führte die Designer schliesslich auf die Philippinen. "Die erste Tasche haben wir 2018 zu unserem 10-jährigen Jubiläum präsentiert", erinnert sich Schoenegger. "Mittlerweile sind wir bei über 60 verschiedenen Bananatex-Modellen und wollen das Sortiment bald komplett umgestellt haben."

Fasern der Abacá-Staude zur Weiterverarbeitung in einer Metalpresse
Auch Modegiganten wie Tommy Hilfiger und H&M interessieren sich inzwischen für das strapazierfähige, biologisch abbaubare Material. ©Lauschsicht/QWSTION

Schon interessieren sich Modegiganten wie Tommy Hilfiger und H&M für das strapazierfähige, biologisch abbaubare Material, auch Designermarken wie Stella McCartney haben bereits Produkte mit Bananatex auf den Markt gebracht. "Wir haben entschieden, diese Innovation mit anderen zu teilen, um die Textilindustrie nachhaltiger zu machen," erzählt Schoenegger, "und es kamen schon sehr viele Firmen aus verschiedenen Industrien, die sich das zumindest einmal anschauen wollten."

Zu viel des Guten: Wie Plastik zum Problem wurde

Mit ihrer Idee, in der Natur nach Alternativen zu Kunststoff zu suchen, liegt die 20-Mitarbeitenden-Firma aus Zürich im Trend: Dutzende von Startups in aller Welt forschen nach pflanzlichen Inhaltsstoffen, die sich dazu eignen, nachhaltige Materialien zu produzieren - ähnlich leicht, flexibel und haltbar wie Plastik, ohne dabei die Umwelt zu belasten. Eine knifflige Aufgabe, denn "Bioplastik" bedeutet nicht automatisch, dass das Material ökofreundlich ist. Der Begriff hat sich für diverse Arten an Kunststoffen eingebürgert, die entweder auf natürlichen Rohstoffen basieren oder biologisch abbaubar sind - aber nicht unbedingt beides.

"Wie bio ist Bioplastik wirklich?"

Sind Biokunststoffe tatsächlich besser für die Umwelt? Nicht unbedingt. Denn biologisch abbaubare Kunststoffe sind nicht automatisch kompostierbar und können auch auf Basis von Erdöl hergestellt werden. "Weder die Rohstoffe, noch die Produktion noch die Entsorgung von Biokunststoff ist in jedem Fall umwelt- und klimafreundlicher als die von fossilem Plastik", warnt die Umweltorganisation WWF.

Wirklich nachhaltig werden Alternativen zu herkömmlichem Plastik erst, wenn sie aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und am Ende auf natürliche Weise zerfallen, weil sie sich von Mikroorganismen zersetzen lassen. Die Herausforderung dabei: Die Produktion der organischen Rohstoffe dürfe "nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelherstellung stehen", fordert die Fraunhofer-Gesellschaft, und zusätzlich müssen die Plastik-Alternativen ähnliche Eigenschaften aufweisen wie herkömmliche Produkte. 

Das deutsche Umwelt-Bundesamt und das Schweizer Bundesamt für Umwelt erklären auf ihren Websites im Detail, welche Wertstoffe tatsächlich in die Biotonne gehören und welche nicht.

Klar ist: Der Markt sucht nach Alternativen für fossile Kunststoffe, die auf Basis von Erdöl hergestellt werden und für den Planeten zum Problem geworden sind. Seit 1950 stieg die Produktion des einstigen Wundermaterials von anfangs zwei Millionen Tonnen im Jahr auf heute mehr als 400 Millionen Tonnen. Bis 2060 könnte sich die jährlich produzierte Menge an Kunststoffen noch einmal verdreifachen, schätzt die OECD - obwohl die Folgen des grenzenlosen Wachstums schon jetzt dramatisch sind. 

Bunte Ansammlung von angeschwemmtem Plastikmüll bedeckt ein Standstück.
Plastik wird mehr und mehr zum Problem für unseren Planeten: quadratkilometergrossen Plastikmüll-Inseln in den Ozeanen und Ansammlungen an Stränden zeugen davon. © GettyImages

Sie reichen von quadratkilometergrossen Plastikmüll-Inseln in den Ozeanen über Mikroplastik-Partikel, die Menschen einatmen, trinken oder mit dem Essen aufnehmen, bis hin zum Klimawandel: Durch Produktion und Nutzung von Kunststoffen werden jährlich fast zwei Gigatonnen an Treibhausgasen freigesetzt - das entspricht 3.8 Prozent der Gesamtmenge.

"So wie bisher kann es nicht weitergehen", folgert die OECD in einem aktuellen Bericht zum Umgang mit Plastikmüll. Neben verbesserter Entsorgung und mehr Recycling fordert die UN-Organisation auch ein Umdenken beim Design von Produkten: weg von der Einmalnutzung, hin zur Kreislaufwirtschaft. Die EU hat solche Ziele bereits in einer verschärften Verpackungsrichtlinie festgeschrieben, die bis 2030 stufenweise die Recyclingquote anhebt und anregt, zur "Förderung einer nachhaltigen Bioökonomie" die Verwendung organischer Materialien zu erhöhen.

"Die Richtlinie ist zu einem Innovationstreiber geworden", sagt Christoph Biehl, Stewardship Lead Europe bei der LGT. "Sie macht klar, dass es kein 'Weiter so' geben kann, und regt zur Suche nach neuen Lösungen an." Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Verpackungen, weil Folien, Flaschen, Tüten, Becher, Strohhalme, Einweggeschirr und vieles mehr den grössten Anteil am Plastikmüll haben: 36 Prozent aller Kunststoffe werden für Verpackungsmaterial hergestellt. 

Strohhalme aus Zucker, Schachteln aus Seetang

Aufeinandergestapelte Take away Verpackungen
Ausgezeichnet mit dem Earthshot Prize: kompostierbare Schachteln auf der Basis von Seetang. © Ellie Smith/The New York Times/Redux/laif

Alternativen kommen von findigen Startups wie Notpla, das auf Basis von Seetang kompostierbare Schachteln, etwa für Essenslieferungen, entwickelt hat und dafür 2023 den Earthshot Prize gewann. Andere, wie Traceless, Biolo oder PlantSwitch, nutzen Reststoffe aus der Landwirtschaft, um organisch abbaubares, fossilfreies Bioplastik herzustellen. Auch Pilzsporen oder Schalen von Krustentieren, wie Krabben und Garnelen, können als Grundlage für natürlich zerfallende Materialien dienen, wie EcoRoot, SourceGreen und Carapac zeigen.

Dazu kommen etablierte Anbieter wie Natureworks, Huhtamaki oder Natureflex, die ökofreundlichere Trinkbecher, Strohhalme, Schutzfolien und vieles mehr aus pflanzlichen Rohstoffen wie Zellulose, Kartoffelstärke oder Zucker herstellen. Die grösste Herausforderung dabei: Auch dieses naturnahe Bioplastik muss vergleichbare Eigenschaften aufweisen wie herkömmlicher Kunststoff und darf zugleich nicht wesentlich teurer sein.

Ein kniffliger Spagat, wie die Erfahrungen von Kundinnen und Kunden zeigen. Jan-Berend Holzapfel, Inhaber von Ronnefeldt Tee, berichtet von jahrelangen Experimenten, ehe seine Firma auf eine gartenkompostierbare Zellulosefolie von Natureflex stiess, die Ronnefeldt nun als Schutz für einzeln verpackte Teebeutel einsetzt. "Wir haben auch andere Produkte ausprobiert", erzählt Holzapfel, aber nicht alle Bioplastik-Verpackungen hätten lange Seereisen, Hitze und Feuchtigkeit überstanden - ideale Bedingungen für Bakterien, vorzeitig mit dem Zersetzen kompostierbarer Plastik-Alternativen zu beginnen.

Dazu kommt der Preis, der weiterhin deutlich über dem konventioneller Kunststoffverpackungen liegt. Eine Chance, die Kosten weiterzugeben, sieht Holzapfel nicht. "Bioprodukte sind auch bei uns teurer als konventionelle, da geht der Kunde mit", sagt der 51-Jährige. Bei der Verpackung hat er Zweifel, "aber es ist uns wichtig, einen Beitrag zu leisten", sagt Holzapfel. Sein Familienunternehmen, mehr als 200 Jahre alt, solle zu einer lebenswerten Zukunft für alle beitragen. "Dazu müssen wir einfach umweltschonend handeln."

Organisches Wachstum: Wie gross kann der Markt für Bioplastik werden?

Wie sehr der Markt für Bioplastik bisher von Idealismus geprägt ist, zeigt sich auch an den Verkaufszahlen: Während petrochemische Kunststoffe weltweit einen Umsatz von mehr als 600 Milliarden US-Dollar im Jahr erzielen, kommen organische Alternativen auf gerade mal 12 Milliarden. Dennoch sind Investoren optimistisch, denn bis 2030 soll sich das Geschäft auf einen Jahresumsatz von 44.8 Milliarden US-Dollar nahezu vervierfachen, sagt der Marktforscher Grand View Research vorher.

Zwei junge Männer mit Schutzhelmen in der Hand in einer Lagerhalle
Ecovative-Gründer Eben Bayer und Gavin Mclntyre: Ihre Pilztechnologie zur Erzeugung von nachhaltigen Alternativen zu Kunststoffen zieht Investoren an. © Ecovative

Treiber des erwarteten Wachstums sind neben Verpackungen auch Möbel, Baustoffe und Kleidung. Besonders in der Modebranche wird eifrig nach Wegen gesucht, synthetische Fasern zu ersetzen. Derzeit besteht mehr als die Hälfte aller Textilien aus Polyester - 2022 stieg die Produktion auf 63 Millionen Tonnen. Im vorigen Jahr erhielten Startups, die nachhaltige Materialien für die Textilindustrie entwickeln - darunter Natural Fiber Welding, MycoWorks und Ecovative - fast 500 Millionen US-Dollar von Investoren.

Bei aller Aufbruchstimmung äussern Expertinnen und Experten auch Zweifel, dass neue Materialien sich schnell genug am Markt durchsetzen können, um tatsächlich etwas zu bewirken. "Wir haben heute einen Biopolymer-Anteil von 1.5 bis 2 Millionen Tonnen", sagt Christof Witte, Nachhaltigkeits-Experte bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company. "Vielleicht kann das auf 10 Millionen Tonnen wachsen, aber das löst nicht das eigentliche Problem der Welt im Umgang mit Plastik. Stattdessen sollten Abfallvermeidung und eine bessere Entsorgung im Vordergrund stehen, vor allem in Asien," argumentiert Witte.

Porträt von Christopher Greenwald
Christopher Greenwald, Head of Sustainable Investing bei LGT Private Banking, ist überzeugt, dass es im Kampf gegen Plastik eine Kombination aus Vermeidung und Plastikalternativen geben muss. © LGT

Christopher Greenwald, Head of Sustainable Investing bei LGT Private Banking, sieht die besten Erfolgschancen in einer Kombination verschiedener Ansätze. "Ich denke, es geht nicht um ein Entweder-Oder", sagt er. "Wir brauchen Alternativen, um die negativen Auswirkungen von Plastik zu begrenzen. Das verlangt gemeinsame Anstrengungen in allen Bereichen, weil es um ein komplexes Problem in diversen Regionen der Welt geht."

Ambitionierte Gründer spornt das an, den Multi-Milliardenmarkt Plastik von Grund auf neu zu erfinden. "Heute werden jährlich 400 Millionen Tonnen Kunststoffgranulat von petrochemischen Unternehmen produziert - und wir haben uns vorgenommen, dieses Kunststoffgranulat durch unser eigenes zu ersetzen", sagt Michael Kingsbury selbstbewusst.

Getrockneter Seetang in Reagenzgläsern
Seetang soll der Grundstoff für ein Granulat sein, aus dem ein Material entsteht, dass alle Eigenschaften aufweist, die man von Plastik erwartet. © Ellie Smith/The New York Times/Redux/laif

Der 34-jährige Australier ist Mitgründer der Firma Uluu, die ein Verfahren entwickelt hat, um kompostierbares Plastik aus Seetang zu gewinnen. Den Vorgang, erklärt Kingsbury, könne man sich ähnlich vorstellen "wie beim Bierbrauen". Zunächst wird den Pflanzen Zucker entzogen, der anschliessend in einem Gärungsprozess als Nahrung für Bakterien dient. Die Einzelheiten des Verfahrens sind zum Patent angemeldet. Das Endprodukt ist PHA, ein gängiger Grundstoff für biologisch abbaubare Plastik-Varianten, aus dem Uluu sein Granulat herstellt.

Eine Frau steht im seichten Meer und erntet Seetang-Pflanzen
Seetang als Grundmaterial biete gleich mehrere Vorteile: Es binde CO2 und lasse sich leicht in grossen Mengen herstellen, ohne mit Nahrungsmitteln zu konkurrieren, erklärt der Mitgründer von Uluu. © Adobestock/ trezy76

Im Ergebnis entstehe ein "einzigartiges Material, das all die Eigenschaften aufweist, die Kunden von Plastik erwarten, ohne die Umwelt zu belasten", sagt Kingsbury. Seetang als Grundmaterial biete gleich mehrere Vorteile: Es binde CO2 und lasse sich - anders als Mais oder Kartoffelstärke - leicht in grossen Mengen herstellen, ohne mit Nahrungsmitteln zu konkurrieren oder enorme Flächen zu verbrauchen. Das wiederum erleichtere die Aussichten, beim Skalieren auch billiger zu werden: "Wir haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie wir die Produktionskosten senken können, um preislich mit herkömmlichen Kunststoffen zu konkurrieren", versichert Kingsbury.

Derzeit läuft die Testproduktion nahe der Firmenzentrale in Perth, im kommenden Jahr will Uluu damit beginnen, Verpackungen für Kosmetik sowie Garne für die Textilindustrie herzustellen - um dann zu expandieren, so schnell es geht. "Viele Marken suchen verzweifelt nach Plastik-Alternativen, weil sie den Druck von Konsumenten spüren, aber auch von Gesetzgebern", sagt Kingsbury, "und aktuell gibt es keine Lösungen auf dem Markt, die ihren Erwartungen entsprechen."

Seetang im Meer, durchflutet vom Sonnenlicht
Bei Uluu laufen aktuell Test, um aus Seetang Verpackungen und Garne herzustellen. © istock/Grafissimo

Natürlich, der Aufbau des Geschäfts wird Geld kosten, weit mehr als die neun Millionen Dollar an Startkapital, die Kingsbury und seine Mitgründerin Julia Reisser, eine Meeresbiologin, bisher eingesammelt haben. Aber Investorinnen und Investoren, so hoffen Kingsbury und Reisser, könnte die Aussicht locken, Gutes zu tun und dabei auch gut zu verdienen: "Mit Uluu bieten wir eine Plastik-Alternative, die mit der Natur in Einklang steht, ohne dass Marken Kompromisse eingehen müssen", sagt Kingsbury.
 

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