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Market View & Insights
Wird der allbekannte Audioguide in Kunstmuseen bald von einer Augmented Reality App abgelöst? Susanne Pollack, Kuratorin der Graphischen Sammlung ETH Zürich, sagt ja - und zeigt, wie Augmented Reality Ausstellungen verändern könnte.
Ihre Ausstellung zeigt Kupferstiche aus dem 16. Jahrhundert - Publikumsmagnete sind das ja nicht gerade.
Susanne Pollack: Tatsächlich sind viele der Bilder für uns heute schwer zugänglich. Sie sind Teil einer vollkommen anderen Welt - viele der über 400 Jahre alten Werke werden erst spannend, wenn wir Zugang zu Hintergrundwissen erhalten. Oder zu unersichtlichen oder unbekannten Details, die auch mal nur amüsant sein dürfen.
Amüsant? Haben Sie ein Beispiel?
Auf einem Kupferstich in unserer Ausstellung sehen Sie Venus, die Göttin der Liebe; ein sinnliches, schwelgerisches Bild. Auf die Rückseite hat ein Unbekannter einen Mönch beim Abendmahl skizziert - vielleicht ein späterer Besitzer des Bildes, der sich über das Bild der heidnischen Liebesgöttin enervierte und einen frommen Gegenpol herstellen wollte?
In diesem Fall spielt sich das Spannende also auf der Rückseite des Bildes, quasi hinter den Kulissen, ab. Wenn das Bild so im Museum hängt, haben wir keinen Zugriff darauf, wir sehen das Bild ja nur von vorne.
Genau, und da kommt Augmented Reality ins Spiel. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Game Technology Center der ETH eine neue App entwickelt. Damit können wir Kunstwerke mit Texten, Bildern, Audio- und Videomaterial ergänzen. Dank der App können Sie zum Beispiel auch die Rückseite des Bildes sehen - Sie müssen einfach die App öffnen und die Handykamera auf das Bild richten. Besucherinnen und Besucher bekommen dafür ein iPad oder können die kostenlose App auf ihr Handy herunterladen und dafür programmierte Bilder neu entdecken.
Interaktiv und personalisiert - sieht so der Museumsbesuch der Zukunft aus?
Das wäre schön und davon gehen wir aus. Der App liegt eine cloudbasierte Plattform namens "Artifact" zugrunde. Darauf können Kuratorinnen und Kuratoren ganz leicht Anwendungen selbst gestalten, stetig neue hinzufügen und alte verbessern. Zu einem Bild können sie zum Beispiel eine Audiodatei hochladen, dann funktioniert die App wie ein Audioguide. Aber sie können - mit entsprechenden IT-Kenntnissen oder externer Hilfe - eben auch komplexere Anwendungen programmieren, wie zum Beispiel 3D-Effekte. Unser langfristiges Ziel ist es, die Plattform weiterzuentwickeln, sodass auch andere Museen sie künftig verwenden können. Kuratorinnen und Kuratoren kleiner Museen sollen die meisten Anwendungen mithilfe der App selbst erstellen und auf kostspielige externe Hilfe verzichten können.
Sie verbessern die App also stetig?
Ja, sie ist ja noch ein Prototyp. Deshalb besuchen uns hier im Museum auch immer wieder die App-Entwickler der ETH. Sie beobachten, wie Besuchende mit der App umgehen, was funktioniert und was nicht, um sie dann zu optimieren.
Eine solche App zu bedienen könnte also in Zukunft zum Arbeitsalltag eines Kurators gehören.
Früher konnten auch nicht alle Leute mit Bürojob Powerpoint-Präsentationen erstellen. Heute gehört das ganz selbstverständlich dazu. Wir stellen uns dasselbe für diese App vor.
Steht die App nicht in Konkurrenz mit Führungen von Kuratoren und Spezialisten - und ziehen die Besucher nicht eine Person, die ihnen die Bilder näherbringt, einer App vor?
Das eine schliesst das andere nicht aus. Neben der App bieten wir viel alternatives Material an, das die Ausstellung den Besucherinnen und Besuchern näherbringt: Führungen, aber auch Broschüren und einen sehr ausführlichen Ausstellungskatalog. Es gibt viele Museumsbesuchende, die gerne von unseren Printmedien Gebrauch machen, und manche Leute hören natürlich lieber einer Spezialistin zu, statt auf einem iPad herumzudrücken. Generell ist die App aber intuitiv bedienbar und sehr beliebt. Sie ermöglicht einen viel individualisierteren Besuch als eine Gruppenführung.
Es gibt sicher auch kritische Stimmen, die eine solche App als Hindernis zum unmittelbaren Kunsterleben verurteilen.
Menschen, die Technik und Kunst als Gegensätze wahrnehmen, gibt es immer wieder. Meine Aufgabe als Kuratorin ist es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Spielerischem und Informativem. Ich will mithilfe der App nicht einfach schöne Effekte herbeizaubern, die nur unterhalten, sondern Informationen vermitteln. Natürlich beeinflusst das die Wahrnehmung eines Kunstwerks, aber das tut ein Text oder ein Gespräch ja auch. Ausserdem kann eine solche App auch helfen, Kunstwerke wieder in ihrem ursprünglichen Kontext zu zeigen bevor sie zu rein musealen Objekten wurden.
Haben Sie ein Beispiel?
Dieses Bild hier sollte als Vorder- bzw. Rückseite eines Fächers dienen. Das können wir in der Augmented-Reality-App schön darstellen: Betrachten Sie das Bild durch die Handykamera, sieht es aus, als löse sich der Fächer vom Bild und beginne sich zu bewegen. Sie sehen auch, dass die kleineren Bilder als alternative Klebebilder zur Verzierung des Fächers gedacht waren. Sie konnten ausgeschnitten und aufgeklebt werden. Darauf würden wir nicht kommen, wenn wir ein an der Wand hängendes Bild einfach so anschauen, das wie dieses eigentlich gar nicht an die Wand gehört. Augmented Reality kann also helfen, die Kunstwerke wieder in ihrem ursprünglichen, alltäglichen Charakter erlebbar zu machen. Sie sehen: Augmented Reality und Kunst sind keine Gegensätze.