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Unternehmertum

Wie Familienunter­nehmen Tradition zu ihrem Vorteil nutzen

Im Interview schildert Peter Jaskiewicz, wie Familienunternehmen zwischen geschäftlichen Interessen, familiären Angelegenheiten und Traditionen die richtige Balance finden.

Datum
Autor
Ellen Sheng, Gastautorin
Lesezeit
7 Minuten

Peter Jaskiewicz

Peter Jaskiewicz, Professor und Ordinarius des Forschungslehrstuhls für nachhaltiges Unternehmertum an der Telfer School der Universität Ottawa, weiss mehr als die meisten über die Schwierigkeiten, mit denen Familienunternehmen mitunter kämpfen müssen. Das liegt nicht nur daran, dass dies sein Forschungsgebiet ist.

Jaskiewicz wuchs in einer Unternehmerfamilie auf. Doch während seines MBA-Studiums verstarb sein Onkel, der das Familienunternehmen geleitet hatte. In der Folge kam es zwischen den Familienmitgliedern zum Streit und das Unternehmen stürzte in eine Krise. Jaskiewicz wollte daraufhin wissen, wie das geschehen konnte und Antworten darauf finden, damit andere aus den Fehlern lernen können.

Familienunternehmen nutzen ihr unternehmerisches Erbe, um Innovationen voranzubringen.

Peter Jaskiewicz

Bald aber erkannte er, dass die Betriebswirtschaftslehre keine Lösungen bot, wenn es um Differenzen in der Familie geht – obwohl das über Wohl und Wehe in geschäftlicher Hinsicht entscheiden kann. "All das Finanzwissen half überhaupt nicht," so Jaskiewicz. Obwohl das Unternehmen "ziemlichen Erfolg" hatte, sorgte die Dynamik in der Familie immer wieder für Querschüsse. "Das hat mich fasziniert. Familien gründen Unternehmen. Wenn sie aber dramatische Ereignisse zu bewältigen haben, hat niemand eine passsende Antwort. Und die üblichen Berater tun sich schwer, bei diesen familiären Prozessen zu unterstützen", ist Jaskiewicz überzeugt. 

Diese schicksalhafte Erfahrung begründete Jaskiewiczs Entscheid, ein Studium rund um Unternehmertum und Familienunternehmen aufzunehmen. Im Interview spricht er über seine Forschungen, wie Familienunternehmen Nachfolge organisieren und welche Rolle familiäre Traditionen spielen.

In Ihrer Forschungsarbeit zeigen Sie die Nachfolge letztlich als Schnittmenge aus familiären und wirtschaftlichen Interessen. Wie gehen Familien mit diesen, manchmal gegensätzlichen, Faktoren um? 

Die Nachfolge ist bei Familienunternehmen besonders. Wenn ein Unternehmen normalerweise einen Nachfolger sucht, wird jemand mit denselben Qualifikationen und derselben ausserordentlichen Erfahrung gesucht wie sein Vorgänger – nur etwas jünger. In Familienunternehmen bekommt die Person den Job, weil sie ein Familienmitglied ist. Da kann die neue Generation auch mal 35 Jahre jünger sein. Das heisst nicht, dass diese deshalb nicht kompetent wäre. 

Wie wirken sich die verschiedenen Persönlichkeiten innerhalb einer Familie auf  die Unternehmensnachfolge aus?

Für viele Familien ist die Sinnfrage und das, was sie als Vermächtnis weitergeben, ein wichtiger Antrieb. Die Dynamik in der Familie kann Unternehmen im Gegensatz zur Konkurrenz stärken. Bei anderen Unternehmerfamilien verhindern Rivalität und schlechte Kommunikation eine positive Unternehmensführung und Wertschöpfung. In Familienunternehmen kann sich das Gute ebenso zeigen wie das Schlechte. 

Bei der Nachfolge spielt auch die Frage der eigenen Endlichkeit eine Rolle. Wer als Eigentümer auf unternehmerische Erfolge zurückblickt, will das nicht enden, sondern weiterwachsen sehen. Einige Umfragen zeigen, dass fast 90 Prozent der Familienunternehmen keinen formellen Nachfolgeplan haben. Und selbst einen Plan zu haben, bedeutet nicht viel. Viele halten sich nicht daran oder der Plan erweist sich als unvollständig. Viele Firmengründer identifizieren sich dermassen mit dem Unternehmen, dass für sie das Loslassen so schwer ist, als ob sie sich ein Bein amputieren müssten. 

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Ist bei Familienunternehmen, bei der eine neue Generation erfolgreich die Führung übernommen hat, ein besonderer Führungsstil erkennbar? 

Es kommt darauf an. Viele erfolgreiche Geschäftsinhaber glauben, dass niemand anderes das Unternehmen so führen kann wie sie. Es gibt aber auch die Bescheideneren, die erkennen, dass frühere Generationen in derselben Situation waren. Sie akzeptieren, dass auch die Jüngeren ihren eigenen Weg gehen müssen. Und da jede Zeit ihre eigenen Erfolgsrezepte hat, bleibt nichts Anderes übrig, als den Kindern zu vertrauen. 

Wie können Familien die neue Generation auf Ihre zukünftigen Aufgaben vorbereiten?

Ein Unternehmen zu erben, beginnt schon früh und zieht sich über das gesamte Leben hin. Es beginnt,wenn die Kinder noch klein sind und am Esstisch Geschichten aus dem Unternehmen hören. Dann sollten Kinder Ferienjobs im Unternehmen machen, Produktionsstätten an verschiedenen Standorten besuchen oder bei Messen und Produkteinführungen helfen. Diese Geschichten und ersten Erfahrungen bieten eine Möglichkeit zur Identifikation. Man weiss, was die Eltern und frühere Generationen geschaffen haben. Das ist besonders wertvoll, kann aber auch zur Last für die nachfolgende Generation werden. 

Aber es gibt grossartige Beispiele für Unternehmergeist in Familien, bei denen sich jeder Einzelne mit dem Familienunternehmen identifiziert. Sie schlagen eine Ausbildung oder andere Laufbahn ein, um für das Unternehmen neues Wissen zu erwerben. Die jungen Menschen gehen in die Welt hinaus um neue Erfahrungen zu sammeln und dann voller Ideen und Energie zurückzukommen und das Unternehmen zu verjüngen. Die Familie kann der heilige Gral fürs Unternehmen sein oder eine lange Historie vernichten. 

Wie stehen Sie zur Ansicht, dass Tradition Innovation verhindert und dass alte Familienunternehmen dadurch in ihrer Entwicklung gebremst werden? 

Lange Zeit dachte man, dass Tradition Firmen davon abhält, neue Dinge auszuprobieren. Wenn man Dinge auf eine bestimmte Weise mache, so die Vermutung, hätte man schon immer nach demselben Rezept gehandelt. Familienunternehmen sind in ihren Traditionen aber flexibler. Sie nutzen ihr unternehmerisches Erbe und das, was sie in der Vergangenheit erreicht haben, um Innovationen voranzubringen und Unterstützung für diese Veränderungen zu gewinnen. Der rhetorische Rückgriff auf die Geschichte gibt den Familienmitgliedern ein Gefühl von Zugehörigkeit und begründet den Stolz auf das Erreichte. Das verschafft der Unternehmensführung Unterstützung auf dem Weg in die Zukunft. 

Familienunternehmen nutzen ihr unternehmerisches Erbe, um Innovationen voranzubringen.

Peter Jaskiewicz

Wie nutzen Familien ihre Geschichte um Innovation voranzubringen? Haben Sie dazu ein Beispiel?

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich grosse und mittelgrosse, auch weltweit agierende Unternehmen, ihrer Geschichte bedienen, um Veränderung zu legitimieren. Die neuseeländische Gallagher Group nutzte zum Beispiel erfolgreich Narrative aus der Vergangenheit. Sie schilderte, wie deren Gründer Europa verliessen, wie sie Risiken eingingen und Misserfolge überwanden. Damit verdeutlichten sie, dass die Familie seit 150 Jahren im Geschäft ist und dass sie schwierige Situationen durchgestanden hat – aber immer gestärkt daraus hervorging. 

Früheres Familienunternehmen Anheuser-Busch - Tradition als Verkaufsargument.

Anheuser-Busch war vor der Übernahme durch InBev mehr als ein Jahrhundert lang ein Familienunternehmen. Sie führten viele neue, enorm erfolgreiche Biere ein und verwendeten dabei alte Namen und Rezepte. Sie schufen neue, innovative Produkte, stellten sich aber gleichzeitig als Unternehmen dar, das aus Tradition innovativ ist. Diese Geschichte unterstrich den Eindruck, dass die Bierherstellung auf handwerklicher Tradition beruht. Damit gewannen sie einen Vorteil gegenüber anderen, die für die Bewerbung ihrer Produkte keine derart reichhaltige Geschichte vorweisen können. 

Gibt es auch andere Möglichkeiten für Familien, ihre Geschichte einzusetzen?

Wie die Vergangeheit als Begründung für das jetzige Handeln genutzt wird, hängt von jeder einzelnen Familie ab. Die Geschichten und Identitäten rund um die Tradition können eine Stärke sein, sie können aber auch bremsen.

Das unterscheidet sich in regionaler Hinsicht. In Europa wird ein stärkerer Fokus auf die Geschichte gelegt. Das Vergangene zu bewahren ist wichtig und Teil der Identität. Auch Japan ist sehr stark in den eigenen Traditionen verhaftet. Anderswo ist man da zukunftsorientierter und individualistischer. Das heisst nicht, dass das eine besser oder schlechter ist, es bedeutet nur, dass Tradition dort anders genutzt wird.

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