The Strategist

Zwischenbilanz zum Nahostkonflikt

In den frühen Morgenstunden des Samstags, 7. Oktober 2023, begann die Hamas einen grossangelegten Terrorangriff auf Israel. Die humanitären Kosten dieser tragischen Ereignisse übersteigen jegliche Finanzmarkterwägungen. Nachfolgend bemühen wir uns um eine möglichst objektive Zwischenbilanz und Einschätzung der Auswirkungen auf die Finanzmärkte. 

Datum
Autor
Georg Ruzicka, Head Equity Research LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten
Isreal und Palästina Flagge
© Shutterstock

Die Geschichte wiederholt sich

Ein Krieg im Gazastreifen begann letztmals am 8. Juli 2014 als Reaktion auf anhaltenden Raketenbeschuss Israels durch die Hamas und andere militante palästinensische Gruppierungen aus dem Gazastreifen. Damals endete der Konflikt rund sieben Wochen später am 26. August 2014 mit einer unbefristeten Waffenruhe. Damals blieben die Reaktionen an den Finanzmärkten verhalten. Weder der Ölpreis noch das Gold verzeichneten signifikante Ausschläge während der Weltaktienindex zeitweise um rund 4% eingebrochen war, was er allerdings bis zum 26. August 2014 wieder aufholte. Die Reaktionen an den Finanzmärkten waren diesmal stärker: Sowohl der Ölpreis wie auch Gold legten in den ersten zwei Wochen nach Ausbruch des Konflikts um rund 8% zu. Während 2014 die US-Schieferölproduktion auf Hochtouren lief, scheint heute angesichts der bestehenden Angebotskürzungen von OPEC+ und rekordtiefen Lagerbeständen das globale Ölangebot angespannter zu sein. Und obwohl Chinas Wachstum schwächelt, stiegen die Ölimporte über die vergangenen zwölf Monate um schätzungsweise 12% an.

Eine "isolierte" Betrachtung ist schwierig

Der Überraschungseffekt des gegenwärtigen Konflikts war enorm. Trotzdem sollte man dies nicht isoliert betrachten. Der Konflikt eskalierte im Gesamtkontext steigender Zinsen, angespannter geldpolitischer Rahmenbedingungen, einem fragilen Makroumfeld und einem politisch nur bedingt handlungsfähigen Amerika. Der US-Volatilitätsindex VIX ist seit dem Konfliktausbruch um rund 26% in die Höhe geschnellt. Der Weltaktienindex gab über diesen Zeitraum aber um lediglich 2% nach, im vergangenen Monat hingegen insgesamt um über 3%. Hierbei wirkte der Anstieg der zehnjährigen US-Staatsanleihezinsen von 4.4% auf nahezu 5.0% wesentlich mit, indem die höheren Zinsen die Aktienrisikoprämie weiter nach unten drückten und auf den Bewertungsmultiplikatoren lasteten. Dies hat sicher dazu beigetragen, dass der S&P 500 kürzlich den gleitenden 200-Tagesdurchschnitt nach unten durchbrochen hat. Andererseits hält bisher die wichtige Unterstützungslinie von 4'200 Punkten.

Sorgen um eine Eskalation

Die aktuelle Lage bleibt angespannt. Insbesondere sorgen sich Investoren um ein mögliches Einmischen der Hisbollah, der mit den Hamas verbündeten "Partei Gottes" im Libanon, einer der mächtigsten paramilitärischen Kräfte im Nahen Osten, deren militärische Stärke auf rund das Zehnfache der Hamas geschätzt wird. Dadurch könnte sich der Konflikt in Richtung Libanon ausweiten und unter Umständen auch eine Einmischung Irans bewirken. Damit würde der Konflikt den für die Erdölproduktion wichtigen Nahen Osten destabilisieren, und unter Umständen die Meerenge von Hormuz beeinträchtigen, über welche geschätzte 25% der globalen Versorgung mit Erdöl verlaufen. Damit bleiben die Risiken für höhere Ölpreise vorerst bestehen.

Eine Eingrenzung des Konflikts bleibt möglich

Israels wichtigstes Ziel besteht darin, die militärischen Fähigkeiten der Hamas auszumerzen. Eine gezielte, lokal auf den Gazastreifen begrenzte militärische Operation von beschränkter Dauer und hoffentlich begrenzter Opferzahl, nach der palästinensische Behörden die Hamas als Regierungspartei im Gazastreifen ablösen, bleibt ein mögliches Szenario. Hinzu kommen massive diplomatische Bemühungen der US-Regierung, den Konflikt im Nahen Osten einzugrenzen. Aktuell kursieren viele Schätzungen im Markt. Ein Gros der Politologen scheint die Wahrscheinlichkeit, dass der aktuelle Konflikt lokal eingegrenzt bleibt, auf rund 70% zu schätzen, mit einem 30%igen Risiko einer weitergehenden Eskalation.

Konträre Überlegungen

Aktuelle Umfragen zeigen eine extrem pessimistische Investorenhaltung, nachdem der S&P 500 in fünf der vergangenen sieben Wochen nachgegeben hat. Zudem halten globale Anlegerinnen und Anleger wieder überdurchschnittlich viel Liquidität, auch ein Zeichen für Risikoaversion. Das Verhältnis von Put-zu-Call-Optionen ist in den USA aktuell höher als beim Ausbruch der Corona-Pandemie, ein Zeichen für eine enorme Nachfrage nach Absicherungsinstrumenten. Wenn eine derart deutliche Mehrheit der Investorinnen und Investoren in die gleiche Richtung denkt, kann dies auch als Kontraindikator ausgelegt werden, aus dem heraus eine Gegenbewegung resultieren kann. Fundamental erklärt sich dies so, dass wenn viele in eine Richtung denken, entsprechend viele ihre Meinung ändern können, und ein breiter angelegter Meinungsumschwung über Kapitalmarktströme entsprechend kurstreibend sein kann. Historisch betrachtet endet die geldpolitische Straffung oftmals mit kriegerischer Tätigkeit. Es ist nicht auszuschliessen, dass die US-Zinsen nun Nahe des Höhepunkts für diesen Zyklus handeln, was zumindest für keinen zusätzlichen Druck noch höherer Zinsen befürchten liesse.

Es bleibt kompliziert

Die aktuelle Situation mit den erwähnten komplexen Puzzleteilen wie dem Konflikt im Nahen Osten, dem anhaltenden Krieg in der Ukraine, den deutlich gestiegenen Zinsen, angespannten geldpolitischen Rahmenbedingungen, einem fragilen Makroumfeld und einem politisch nur bedingt handlungsfähigen Washington kreieren eine hohe Komplexität, mit entsprechend anhaltend hohen Risiken. Dies ist kein Umfeld für grosse "Wetten". Wir bleiben Nahe unserer robusten, strategischen Vermögensallokation positioniert, in welche wir in Krisenzeiten hohes Vertrauen legen. Trotz der anhaltend hohen Komplexität sollte eine Einschätzung durch Anlegerinnen und Anlegern immer möglichst "rund" sein. Den aktuell deutlich erhöhten Risiken steht eine äusserst pessimistische Investorenhaltung gegenüber, welche auch jederzeit zu Gegenbewegungen führen kann.
 

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