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Market View & Insights
Seinen Erfolg führt die Investmentlegende Warren Buffett auf das Buch „The Intelligent Investor“ von Benjamin Graham, Erstpublikation 1949, zurück. Im Multimedia-Zeitalter erfordert die Lektüre einen Kraftakt - der sich aber auszahlen kann.
Mit 11 Jahren kaufte Warren Buffett seine erste Aktie. Mit 13 füllte er seine erste Steuererklärung aus – und mit 19 entdeckte er seine Finanz-Bibel: „The Intelligent Investor“, verfasst von seinem Professor Benjamin Graham, Erstauflage 1949.
Ein Leben lang hat sich Buffett dann akribisch an Grahams Prinzipien gehalten. Mittlerweile ist er über 90, wirkt mit seiner Hornbrille, dem zerzausten Haar und dem Ukulele-Spiel wie ein schelmischer, älterer Onkel - und gilt längst als erfolgreichster Investor der letzten 50 Jahre. Viele verehren ihn als „Orakel von Omaha“.
„Etwas muss also an diesem Ratgeber-Buch dran sein“, dachte ich seit langem. In den letzten Wochen habe ich endlich meiner Neugier nachgegeben und mir das Buch angeschafft. Enthusiastisch startete ich meine Lektüre. Das Vorwort von Warren Buffett saugte ich auf. Es liest sich spannend und steigert die Erwartungen ins Unermessliche.
Doch mit jeder gelesen Seite beunruhigten mich die noch bevorstehenden Seiten mehr. Immer wieder musste ich mich kneifen, um nicht abzuhängen. Ich fühlte mich ungefähr so wie ein Gymnasiast, der sich durch „Faust I“ kämpfen muss: im vollen Bewusstsein, ein geschichtsträchtiges Werk in den Händen zu halten – aber auch eines, dessen Sprache einen bei jedem Satz daran erinnert, dass es nicht aus diesem Jahrzehnt stammt.
Dabei bemühte sich Benjamin Graham bis zu seinem Tod darum, das Buch „Intelligent investieren“, so der Titel der deutschen Übersetzung, à jour zu halten. Immer wieder stellte er seine Thesen auf den Prüfstand, hinterfragte sich und flickte neue Daten ein. So gesehen dürfte es in seinem Sinn sein, dass neuere Auflagen durch Kommentare des Finanzjournalisten Jason Zweig angereichert sind. Manchmal sind diese sogar verständlicher als Graham im Originalton. Vor allem aber zeigen sie, dass Graham mit seinen Einschätzungen oft ins Schwarze tippte.
Wenn „The Intelligent Investor“ bei mir nicht die gleiche Offenbarung auslöste wie bei Warren Buffett, lag das wohl nicht zuletzt am Erfolg des Buches selbst. Als es auf den Markt kam, waren seine Erkenntnisse bahnbrechend. Graham legte das Fundament für die „Value“-Strategie, die darauf abzielt, unterbewertete Aktien mit Kennzahlen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aufzuspüren. Seine Argumente überzeugten so sehr, dass wir ihnen heute auf jedem besseren Finanzportal begegnen. Entsprechend weniger überraschend ist das Buch für routinierte Börsianerinnen und Börsianer.
Um herauszufinden, ob sich das Standardwerk nach wie vor als Einführung in die Finanzmärkte eignet, habe ich es meinem Sohn (19) in die Hand gedrückt. Sein Fazit: „Eine Person mit wenig Vorwissen, kann dieses Werk mit etwas Anstrengung verstehen und die wichtige Essenz herausfiltern. Die Weisheiten, die einem Graham mit auf den Weg gibt, bleiben relevant. Viele heutigen Auswüchse des Aktienmarkts würde er wohl geisseln.“
Angesichts des Hochfrequenzhandels, der Kryptowährungen, der strukturierten Produkte und der börsengehandelten Indexfonds (ETF) könnten Graham tatsächlich die Augen aus dem Kopf kullern. All das hätte er sich nicht im Traum ausmalen können. Umso erstaunlicher ist es, dass seine zeitlosen Prinzipien kaum an Aktualität verloren haben.
Als Analyst baut Graham das Buch logisch auf. Er erklärt, was er unter einem intelligenten Investor versteht – nämlich das Gegenteil eines Spekulanten, der immer der Herde nachrennt –, führt in die Kapitalmärkte ein und entwirft Strategien für verschiedene Anlegertypen. Was die europäische Leserschaft leicht irritieren mag, ist der Fokus auf den US-Aktienmarkt (für den allerdings auch die umfangreichste Datenbank vorliegt). Die teilweise ausufernden Kommentare von Zweig muten zudem zeitweise eher wie eine Hommage an Graham als wie eine sachliche Einordnung an.
Reizvoll am Börsen-Schmöker ist, dass man ihn dennoch nicht von A bis Z lesen muss. Es kann amüsant sein, einzelne Kapitel aufzuschlagen und den „Vater der Fundamentalanalyse“ zu ausgewählten Themen zu konsultieren.
In einem Punkt täuschte sich aber selbst der „intelligente Investor“ persönlich. So bezweifelte Graham, dass sich die Kaufkraft des US-Dollars mit Gold erhalten liesse. Denn im Gegensatz zu Aktien sei Gold unproduktiv, erwirtschafte keine Gewinne. Man mag aber auch einwenden: Wer wie Graham und sein prominentester Schüler Warren Buffett investiert, braucht wirklich kein Gold im Portfolio, um sich eine goldige Nase zu verdienen.
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