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Lifestyle

Kunst konservieren: die Komplexität der Moderne Restaurieren oder verrotten lassen?

Von Federn bis Lebensmitteln: Was sollten Sammlerinnen und Sammler bedenken, bevor sie in ein Kunstwerk investieren, das unkonventionelle Materialien verwendet? 

Datum
Autor
Sarah Murray, Gastautorin
Lesezeit
5 Minuten

Eine Frau steht in der Mitte des Kunstwerks The Womb aus getrockneten Blumen, das von der Decke hängt
Für ihr Kunstwerk "The Womb" hat Rebecca Louise Law Glasskulpturen, Keramiken, Gemälde und getrocknete Blumen kombiniert. Wie können Sammlerinnen und Sammler sicherstellen, dass Werke wie diese Jahre und sogar Jahrhunderte überleben? © Courtesy of the arIst

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Künstlerinnen oder Künstler gebeten werden, an ihren Werken Beschädigungen (wie etwa eine verzogene Leinwand oder Verfallsspuren wie rissige Farbe) zu beheben – auch nach dem Verkauf. Trotzdem war die britische Künstlerin Lucy Glendinning erstaunt, als sie um die Reparatur einer ihrer Skulpturen gebeten wurde. Denn die Ursache für den Schaden war ungewöhnlich: Die Katzen des französischen Käufers hatten sie angeknabbert.

Lucy Glendinning ist bekannt für ihre Serie eindringlich schöner Skulpturen. Ihre lebensgrossen Figuren bedeckt sie mit Wachs, Federn, dem Verbundmaterial Jesmonite. Für sie werfen die Federn Fragen nach dem Menschsein auf. "Ich wollte, dass die Betrachtenden Empathie für diese Figuren empfinden", erklärt sie, "Aber auch, dass sie ein wenig beunruhigend wirken."

Lucy Glendinning
Warum verwendet Künstlerin Lucy Glendinning Federn für ihre menschenähnlichen Skulpturen? "Sie werfen Fragen darüber auf, was uns zu Menschen macht."

All das hat die Katzen nicht interessiert. Für sie waren die Federn vor allem eines: eine Versuchung. Eine Einladung. Letztendlich, so Glendinning, war der Schaden relativ gering und leicht zu beheben. Der Fall zeigt trotzdem, wie unkonventionelle Materialien für Sammlerinnen und Sammler zeitgenössischer Kunst neue Herausforderungen bei der Konservierung mit sich bringen.

10'000 getrocknete Blumen

Künstlerinnen und Künstler greifen heute zu den vielfältigsten Mitteln, vom Digitalen bis hin zu Lebensmitteln. Der Turner-Preisträger Chris Ofili, bekannt für seine von Jazz- und Hip-Hop-Musik inspirierten Werke, hat für Kunstwerke wie "Princess of the Posse" Elefantenmist verwendet. Dan Colen, der gerne die künstlerische Kraft von alltäglichen oder weggeworfenen Gegenständen erforscht, hat in seinen Werken Kaugummi verarbeitet. In London zeigte die Saatchi Gallery in ihrer Frühjahrsausstellung "La Fleur Morte", eine Installation von Rebecca Louise Law, die aus mehr als 100'000 getrockneten Blumen besteht.

Sculpture of a girl lying on a table
Glendinnings "Das Mädchen in ihren Träumen": Nicht aus Fleisch und Knochen, sondern aus Jesmonite, Wachs, Holz und Fasanenfedern. © Lucy Glendinning

Die Materialien helfen Kunstschaffenden dabei, etwas Neues über die Welt auszudrücken. "Sie wählen Materialien, die ihre Ideen vermitteln und ihre Kreativität herausfordern", sagt die auf Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst spezialisierte Kunstberaterin Patricia Shea.

In manchen Fällen greifen Künstlerinnen und Künstler zwar auf traditionellere Materialien zurück, setzen sie aber auf unkonventionelle Weise ein. So fügen sie beispielsweise der Ölfarbe neue Materialien hinzu, um den Auftrag der Farbe auf die Leinwand zu verändern, oder sie malen nicht mit einem Pinsel, sondern mit Teilen ihres Körpers und mixen dadurch automatisch neue Stoffe mit.

"Es gibt einen starken Antrieb, Dinge auf eine neue Art zu sehen und auszudrücken", sagt Shauna Young, leitende Restauratorin bei Modern Art Conservation in Manhattans Galerienviertel Chelsea. "Der Griff zu unkonventionellen Materialien kann eine Antwort sein - oder der Versuch, die Eigenschaften von traditionellen Materialien auszudehnen."

Banane an die Wand geklebt
Der wohl berühmteste Konzeptkünstler unserer Zeit: Maurizio Cattelans Banane hat Weltruhm erlangt, bekannt wurde er jedoch mit lebensechten Menschenfiguren. © Courtesy of Sotheby's

Wenn die Künstlerinnen und Künstler die von ihnen verwendeten Materialien auf neue und bislang unbekannte Weise einsetzen, stellt sich für Kunstsammelnde die Frage: Wie erhalten wir sie für die nächste Generation?

Kunst für die nächste Generation erhalten

Der erste Schritt besteht darin, zu verstehen, was die Künstlerin oder der Künstler mit der Wahl des Materials erreichen wollte: Wie soll die Zeit das Werk beeinflussen? Wie Licht? Soll ein Kunstwerk in seinem ursprünglichen Zustand bleiben? Oder sind Veränderungen ein wesentlicher Teil seiner Gestalt und Bedeutung?

"Während für die einen Kunstschaffenden der Lauf der Zeit ein wichtiges Element für das Konzept des Kunstwerks ist und sie nicht eingreifen, begrüssen andere die Restaurierung", so Shea. "Sammelnde müssen sich daher fragen, welche Absicht der Künstler oder die Künstlerin in Bezug auf Zustand und Restaurierung hat."

Patricia Shea
Restaurieren oder verfaulen lassen? Das kommt auf die Intention der Künstlerin oder des Künstlers an, sagt Kunstberaterin Patricia Shea.

Für Konzeptkunst braucht man oft Vorgaben - vor allem, wenn Material und Werk identisch und beide vergänglich sind. Dies war bei einem Werk des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan der Fall. Als Sotheby's im vergangenen Jahr sein Werk "Comedian" - eine mit Klebeband an der Wand befestigte Banane - für 5.2 Millionen CHF verkaufte, löste dies einen Medienrummel aus. Das Werk ist mit einer Anleitung versehen, die es den Erwerbenden erlaubt, die verrottete Banane durch eine neue zu ersetzen.

Während das Ersetzen einer Banane durch eine andere eine Low-Tech-Lösung ist, bringt die digitale Kunst neue Herausforderungen mit sich. Denn viele der Technologien - denken wir an VHS und DVDs - veralten. Um die Archivierung, Konservierung und Betrachtung dieser Art von Kunstwerken zu ermöglichen, hat Shea eine webbasierte Plattform namens ArtPlay entwickelt. Diese ermöglicht es Sammlerinnen und Sammlern, digitale Kunstwerke zu speichern und zu konsumieren - unabhängig davon, ob es sich um in den 1980er Jahren produzierte Videos oder digitale Kunst in Form von NFTs (Non-Fungible Tokens) handelt.

Wenn aber Künstlerinnen und Künstler ihre Kreativität mit Hilfe einer wachsenden Zahl von Medien ausdrücken, werden auch die Fachleute, die diese Werke betreuen, immer kreativer - und kooperationsbereiter.

Gelees und Skalpelle für die Kunst-Konservierung

Young erklärt, dass sie und ihre Mitarbeitenden bei Modern Art Conservation oft mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die alternative Formen von Klebstoffen oder Materialien entwickeln, die auch für die sichere Reinigung von Kunstwerken verwendet werden können. So können beispielsweise in der Lebensmittelindustrie als Zusatzstoffe verwendete gelierende Substanzen als Bestandteile von Reinigungslösungen für Kunstwerke mit sehr empfindlichen Oberflächen eingesetzt werden.

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Restauratorin Shauna Young rät Sammelnden von zeitgenössischen Kunstwerken, Beziehungen zu Restauratorinnen und Restauratoren aufzubauen. © Modern Art Conservation

Das Team hat auch mit der Medizin zusammengearbeitet, um herauszufinden, ob Geräte wie winzige Skalpelle für die Augenchirurgie für die Konservierung verwendet werden können. "Wir halten immer die Augen offen und suchen nach Möglichkeiten, neue Probleme zu lösen", sagt sie.

Manchmal dienen die Materialien selbst als Schutz für das Kunstwerk. Glendinning sagt, dass die Federn ihrer Figuren zwar extremer Hitze oder Regenfällen - und vielleicht auch neugierigen Katzen - nicht standhalten könnten, ihre thermischen Eigenschaften aber durchaus zum Erhalt der Skulpturen beitragen würden. "Sie müssen zwar in einem Raum mit konstanter Temperatur bleiben", sagt sie. "Aber weil die Federn das Wachs schützen, wird dieses nie besonders heiss."

Young rät Sammelnden zeitgenössischer Kunst, Beziehungen zu Restauratorinnen und Restauratoren aufzubauen. "Wir beraten diese oft, bevor sie ein Werk kaufen", sagt sie. "Wir sehen uns ein Kunstwerk an und beschreiben detailliert dessen Zustand. Ein solcher Zustandsbericht kann sehr hilfreich für die Konservierung sein, denn die Veränderungen werden dadurch erst erkennbar." Die Berichte können auch Empfehlungen geben, wie Kunstwerke aus unkonventionellen, möglicherweise empfindlich auf Licht oder Feuchtigkeitsschwankungen reagierenden Materialien sicher ausgestellt werden können.

Wenn ein Kunstwerk später einer sorgfältigen Konservierung bedarf, sind solche Überlegungen schon beim Kauf entscheidend, sagt Young. "Sammlerinnen und Sammler verwalten dieses kulturelle Erbe", erklärt sie. "Daher sind die Pflege und Erhaltung der Kunstwerke wirklich wichtig. Nur so überdauern sie so lange wie möglich." 

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