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Market View & Insights
Kurz und bündig: Ja, aber nicht unbedingt in naher Zukunft. Die langfristige Tragbarkeit der Verschuldung ist ein Problem, und temporäre Spitzen bei den Renditen von Staatsanleihen könnten häufiger auftreten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Anlegerinnen und Anleger Anleihen gänzlich ausschliessen sollten.
Seit der globalen Finanzkrise haben die Staatsverschuldung und die Haushaltsdefizite in den Industrieländern deutlich zugenommen und eine Besserung scheint nicht in Sicht. Höhere Haushaltsdefizite waren zunächst ein Teil des notwendigen Instrumentariums, um die Wirtschaft in dieser schmerzhaften Krise und später während der Pandemie zu stützen. Inzwischen haben sie sich jedoch massiv ausgeweitet, obwohl sich zahlreiche Volkswirtschaften erholt haben und die Arbeitslosenquoten sich nahe den Tiefstständen der letzten Jahrzehnte befinden.
Die rekordtiefen Zinsen der vergangenen 15 Jahre erleichterten den Staaten Ausgaben in grossem Stil, ohne dass die Politik oder die Anlegergemeinschaft gross protestiert hätten. Die Zinsausgaben der Regierungen sind in den meisten grossen Industrieländern in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2021 gesunken, obwohl die Verschuldung gestiegen ist. Die langfristige Tragbarkeit der Staatsschulden stellte somit kein drängendes Problem dar.
Inzwischen sind die Zinsen allerdings gestiegen - und mit ihnen die Staatsausgaben für den Schuldendienst.
Dies zeigt sich am deutlichsten in den USA, da Refinanzierungsbedürfnisse hier dem sogenannten Frontloading (Entrichtung eines grösseren Teils der Zinsen in der Anfangsphase des Darlehens im Voraus) unterliegen. Im letzten Jahr hat die US-Regierung neue und verfallende Schulden mit kurzen Laufzeiten zu Coupons von rund 5 % finanziert - angesichts der durchschnittlichen Zinskosten der gesamten Ausstände (2.5 bis 3 %) ist dies vergleichsweise hoch.
Dieses Vorgehen hat einen messbaren Effekt: Die durchschnittlichen Zinskosten der USA sind um einen halben bis ganzen Prozentpunkt gestiegen, sodass die jährlichen staatlichen Zinsaufwendungen von 2.4 % (2023) sprunghaft auf 3.1 % des BIP (2024) angestiegen sind, wie das Congressional Budget Office (CBO) angibt. Damit liegen die Kosten für den Schuldendienst inzwischen über dem jährlichen Verteidigungshaushalt der USA.
In anderen Ländern waren die Auswirkungen des Zinsanstiegs bisher eher moderat. In den meisten anderen Industrieländern sind die Restlaufzeiten länger, da sie eher Anleihen mit längeren als mit kürzeren Laufzeiten ausgegeben haben. Es dauert somit länger, bis sich die höheren Zinsniveaus auf die Schuldendienstkosten auswirken.
Die grüne Energiewende, die Digitalisierung und der Ausbau der Infrastruktur gehören zu den fixen Ausgaben.
Die magische Schwelle, ab der die Staatsverschuldung zu einer Belastung für das Wirtschaftswachstum wird oder sich als unhaltbar erweist, existiert nicht. Solange die Anlegergemeinschaft Staatsanleihen zu bezahlbaren Zinsen erwirbt, ist der Gesamtumfang der Verschuldung ziemlich variabel. Ganz allgemein sind wir aus heutiger Sicht allerdings überzeugt, dass Staatsschulden zwar nicht vollumfänglich zurückgezahlt werden müssen, die Einnahmen des Staates aber langfristig die Ausgaben decken sollten, um die Staatsschuld auf ihrem aktuellen Niveau zu stabilisieren. So müssten Länder wie Frankreich, Grossbritannien, die USA und Japan ihre Haushaltsdefizite klar reduzieren, um das Verhältnis zwischen Staatsschulden und BIP ins Lot zu bringen.
Der Schuldenabbau bzw. die sogenannte Haushaltskonsolidierung gestaltet sich allerdings immer schwieriger. Die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme der Renten- und Gesundheitskosten treiben die strukturell bedingten Staatsausgaben in die Höhe. Doch auch höhere Verteidigungshaushalte sind angesichts der geopolitischen Spannungen unabdingbar - und die grüne Energiewende, die Digitalisierung sowie der Ausbau der Infrastruktur gehören ebenfalls zu den fixen Ausgaben.
Schätzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge dürften sich diese zusätzlichen Ausgaben in den Haushaltsbudgets der europäischen Staaten mit insgesamt fünf Prozentpunkten des BIP niederschlagen. Damit nicht genug: Gemäss den haushaltspolitischen Regeln der Europäischen Union (EU) müssen die Mitgliedstaaten bis 2070 das Verhältnis zwischen Verschuldung und BIP auf 60 % zurückfahren.
Das CBO der USA prognostiziert, dass die Schuldenquote der USA bis Mitte der 2030er Jahre unter den derzeitigen Ausgabenregeln und unter Berücksichtigung des Auslaufens einiger Einkommensteuersenkungen aus dem Jahr 2017 um weitere 20 Prozentpunkte gegenüber dem aktuellen Stand ansteigen wird.Die neue Regierung unter Donald Trump könnte mit Blick auf die kommenden zehn Jahre weitere 20 Prozentpunkte zu diesen hohen Prognosen des CBO beitragen, wie das US Committee for a Responsible Budget anmerkt. Dies- und jenseits des Atlantiks dürfte die ausgeprägte Polarisierung der Politik kontroverse und unpopuläre Kürzungen der Staatsausgaben zusätzlich erschweren.
Regierungen, die den Trend zu immer höheren Staatsschulden brechen möchten, verfügen häufig nur über unattraktive Instrumente. Eine Kompensation durch Wachstum ist die attraktivste Möglichkeit - allerdings lässt sich das BIP-Wachstum nicht ohne Weiteres steigern. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Trendwachstum rückläufig entwickelt; zudem lassen sich durch technologische Fortschritte, wie z. B. künstliche Intelligenz, erst mittel- bis langfristig Produktivitätssteigerungen erzielen.
Auch Einkommenssteuererhöhungen lassen sich nur schwer durchsetzen, und Zahlungsausfälle bei Anleihen würden dramatische und unangenehme Auswirkungen auf die Kapitalmärkte haben.
Auch andere Faktoren können die Schuldenquote verändern. Ein Inflationsanstieg vergrössert den Nenner in diesem Verhältnis, da er das nominale BIP in die Höhe treibt und zugleich sowohl die Steuereinnahmen als auch die Ausgaben ankurbelt. Der rapide Anstieg der US-Inflation in den Jahren 2021/2022 sorgte dafür, dass das Verhältnis zwischen Staatsverschuldung und BIP von 126 % (2020) auf 120 % (2022) zurückging.
Ein weiterer, diskreterer und politisch erwünschter Ansatz besteht darin, die Zinsen künstlich tief zu halten und die Schulden nach und nach durch Inflation zum Verschwinden zu bringen. In Kombination mit Kapitalkontrollen und regulatorischen Auflagen trug diese Strategie nach dem Zweiten Weltkrieg dazu bei, dass die Staatsverschuldung der USA bis 1955 von 120 auf 65 % reduziert werden konnte. Dieser Effekt hatte allerdings seinen Preis, da die Kaufkraft der Ersparnisse und Anleihenanlagen massiv einbrach.
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Aussichten für die langfristige Verschuldungsentwicklung in manchen Ländern derzeit recht düster sind. Diese Länder müssen ihre Haushaltsdefizite unbedingt in den Griff bekommen, um einen Teufelskreis aus ungebremst wachsenden Schulden und unproduktiven Zinszahlungen zu vermeiden.
Dennoch gehen wir davon aus, dass derzeit keine Vertrauenskrise ansteht. Wir gehen vielmehr davon aus, dass sich die Regierungen "durchwursteln" werden, da das reale BIP-Wachstum nicht ausreichen wird, um den jüngsten Anstieg der Staatsverschuldung wirksam zu kontern und man sich staatlicherseits lediglich auf die unbedingt erforderlichen Massnahmen beschränken dürfte, um die Anlegergemeinschaft zu beschwichtigen.
Wir rechnen mit weiteren vorübergehenden Volatilitätsschüben an den Anleihemärkten, wenn die Regierungen exzessive Ausgabenprogramme ankündigen. Es ist davon auszugehen, dass diese Ausreisser von den Notenbanken unter Kontrolle gebracht werden, bevor kurzfristige Liquiditätsengpässe die Schuldenfinanzierung gefährden. Früher oder später müssen die Verschuldung und die Haushaltsdefizite allerdings angegangen und behoben werden.
In der Zwischenzeit wäre die Anlegergemeinschaft schlecht beraten, wenn sie die Hände in den Schoss legte und sich auf den schlimmsten Fall vorbereitete. Wer im Abseits auf einen grossen Crash wartet, könnte mehr Geld verlieren, als sich mit einer sorgfältig geplanten Asset-Allocation-Strategie verdienen lassen dürfte.
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