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Anlagestrategien

Weniger Rezessionsängste, doch lange geopolitische Schatten Halbjahresausblick

Die Weltwirtschaft hat sich in diesem Jahr bemerkenswert widerstandsfähig gezeigt. Die hohe Inflation ist allerdings hartnäckiger als erwartet - dementsprechend wurden die Zinsprognosen neu bewertet. Es ist mit anhaltenden geopolitischen Turbulenzen zu rechnen, welche sowohl die Finanzmärkte als auch die Weltwirtschaft vor Probleme stellen dürften.

Datum
Autor
Gérald Moser, CIO & Head Investment Services Europe
Lesezeit
5 Minuten

Eine Brücke überspannt das Wasser in einer hügeligen Landschaft am Meer
Ein Blick in die Zukunft: Die meisten Zentralbanken dürften 2024 den Übergang von einer restriktiven zu einer unterstützenden Geldpolitik einleiten, aber der Prozess könnte sich verzögern. © Shutterstock/Denis Belitsky

In diesem Jahr hat die Weltwirtschaft die Rezessionsängste abgeschüttelt, da die Wachstumsraten zwar schwach, aber doch positiv ausfielen. Dies zeigt sich insbesondere in den USA: Die zuvor allgegenwärtigen Rezessionsprognosen erweisen sich hier zunehmend als unrealistisch. Die veränderten makroökonomischen Rahmenbedingungen haben die Erwartungen an die US-Notenbank (Federal Reserve) hinsichtlich der Leitzinssenkungen erheblich beeinflusst. 

In unseren Prognosen sind wir bis anhin von drei Zinssenkungsrunden der Fed in diesem Jahr ausgegangen, während man allgemein sechs bis sieben Zinssenkungsschritte für wahrscheinlich hielt. Nach einer spektakulären Kehrtwende herrscht nun Konsens darüber, dass die Fed die Zinsen ein- bis zweimal senken wird, was auch unseren angepassten Erwartungen entspricht.

Verhaltene Wachstumsaussichten

Ein Mann in Anzug und Krawatte in einer Büroumgebung lächelt freundlich in die Kamera
Gérald Moser, CIO & Head Investment Services Europe, LGT Private Banking

Dieses Vorgehen würde zu einer anhaltend sanften Landung der US-Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2024 beitragen, d. h. es würde zu einer kontrollierten Abkühlung der Wachstums- und Inflationsraten ohne einschneidende rezessive Episoden führen. Obwohl sich die US-Wirtschaft im laufenden Jahr als bemerkenswert robust erwiesen hat, zeigen sich allmählich erste Risse in diesem Bild. Das restriktive Zinsumfeld belastet die Arbeitsmarktnachfrage, und die hohen Kapitalkosten bremsen sowohl die Investitionstätigkeit als auch die fiskalischen Impulse.

Unser vorsichtiger Wachstumsausblick hat auch eine positive Seite: Er spiegelt einen moderaten Nachfragedruck wider, der zusammen mit der Dynamik auf der Angebotsseite für das Inflationstempo entscheidend ist. Wir gehen davon aus, dass sich die Kerninflation beiderseits des Atlantiks im Laufe des zweiten Halbjahrs weiter abkühlt, in Europa etwas deutlicher als in den USA.

Nach wie vor entscheidend: die Geopolitik

Die Geopolitik könnte weiterhin für Turbulenzen in der Weltwirtschaft und an den Finanzmärkten im Allgemeinen sorgen. Die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahl im November werden mit zunehmend ängstlicher Spannung erwartet, nicht zuletzt in Hinblick auf die zukünftige Aussenhandelspolitik der USA in einem Umfeld, in dem sich die Handelsmuster von einem Tag auf den anderen verschieben.

Das Deck eines voll beladenen Containerschiffs auf hoher See.
Insbesondere in Sektoren, die als entscheidend für die nationale Sicherheit gelten, wie Hochtechnologie, Verteidigung und Energie, ist mit einer erheblichen Fragmentierung des Handels zu rechnen. © Shutterstock/Avigator Fortuner

Auch wenn die Phase der "Hyperglobalisierung" in der das Wachstum des Welthandels das Wachstum des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) übertraf, vorbei ist, gehen wir davon aus, dass sich die Globalisierung in einer nuancierteren und segmentierteren Form fortsetzen wird. Es dürfte eine signifikante Entkopplung oder Fragmentierung des Handels insbesondere in Sektoren anstehen, die als entscheidend für die nationale Sicherheit gelten, wie etwa Hochtechnologie, Verteidigung und Energie. Im Handel mit als weniger sensibel eingestuften Gütern dürften sich die Reibungsverluste wieder abschwächen.

Geringe Wahrscheinlichkeit für weitere Goldpreisanstiege

Die Finanzmärkte werden die Geopolitik auch im zweiten Halbjahr mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, was die Preise verschiedener Anlageklassen beeinflussen wird. Gold hat von den aktuellen Unsicherheiten profitiert, da sich die Notenbanken der Schwellenländer vom US-Dollar abgewendet und sich die Konflikte im Nahen Osten verschärft haben. Dennoch ist die starke Performance von Gold in der ersten Jahreshälfte angesichts der makroökonomischen Lage eher unlogisch. Wir sind der Ansicht, dass der Goldpreis einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Daher ist der Ausblick der LGT für Gold derzeit "neutral ".

Mehr Chancen bei Aktien

Eine Frau in Anzug und Brille gestikuliert am Mikrofon, im Hintergrund die EU-Flagge.
Die Zinspolitik der Fed und der EZB dürfte sich in den nächsten sechs Monaten weiter voneinander entfernen, da die makroökonomische Entwicklung in den USA und der Eurozone seit einiger Zeit mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten verläuft. © Keystone/APA/Eibner

Bis anhin wirkten grosskapitalisierte Unternehmen mit soliden Bilanzen, überdurchschnittlichen Margen und unterdurchschnittlicher Volatilität als Treiber für die starke Aktienmarktperformance in diesem Jahr. Im aktuellen spätzyklischen Umfeld ist es sinnvoll, auf der Suche nach Anlagechancen weniger ausgetretene Pfade zu beschreiten.

Da sich das Gewinnwachstum in der zweiten Jahreshälfte beschleunigen dürfte, erwarten wir, dass sich diese ausgeprägte Wachstumsführerschaft abschwächt. In diesem Zusammenhang gefallen uns europäische Small-Cap-Titel besonders gut, da sie von Verbesserungen der Wachstumsraten in Europa, rückläufigen Zinsen und attraktiven Bewertungen profitieren.

Nach wie vor sind auch zwei weitere Aktienthemen von Interesse: sogenannte "Bond Proxies" (Aktien mit anleihenartigen Eigenschaften) und Value-Titel. Bei Ersteren handelt es sich um qualitativ verlässliche Dividendenpapiere, denen die hohe Inflation stark zugesetzt hat, bei Letzteren um Titel mit Wachstumspotenzial, die zu attraktiven Bewertungen handeln. 

Anleihenlaufzeiten als Auswahlkriterium

Für Fixed-Income-Anlegerinnen und -Anleger ist die Rechnung im Jahr 2024 bis jetzt nicht aufgegangen. Die Verschiebung der Zinssenkungen aufgrund unerwartet hoher Inflationszahlen führte dazu, dass die Anleihenmärkte nicht von sinkenden Renditen profitieren konnten.

Wir halten an unserer Aussage fest, dass die meisten Zentralbanken 2024 den Übergang von einer restriktiven zu einer unterstützenden Geldpolitik einleiten werden. Allerdings könnte sich der gesamte Prozess weiter verzögern, weshalb wir die meisten Zinssenkungen erst im kommenden Jahr erwarten.

Die makroökonomische Entwicklung in den USA und im Euroraum verläuft seit geraumer Zeit mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, was die Vermutung nahelegt, dass die Zinspolitik von Fed und EZB in den nächsten sechs Monaten weiter auseinanderläuft. Im Euroraum haben die Leitzinssenkungen bereits eingesetzt. Wir befürworten hier eine allmähliche Verlängerung der Duration in Anleihenportfolios. Im Gegenzug setzen wir bei US-Dollar-Anleihen auf den Verbleib in kürzeren Laufzeiten.

Menschen warten in einer Turnhalle vor einem Tisch mit der Aufschrift "Vote" und einer amerikanischen Flagge.
Die Besorgnis über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA im November wächst, und damit auch die Sorge um die künftige Aussenhandelspolitik des Landes in einer Zeit sich rasch verändernder globaler Handelsstrukturen. © istock/SDI Productions

Diese Entwicklung hat Folgen für Anlegerinnen und Anleger in Unternehmensanleihen. Bei der Beurteilung von Kreditrisiken spielen der Entscheid für handverlesene Emittenten und Anlagen in qualitativ hochwertige Papiere eine zunehmend wichtige Rolle. Angesichts der aktuell unsicheren Lage dürfte sich hier eine Gelegenheit bieten, die durchschnittliche Qualität des Anleihenportfolios zu verbessern, ohne signifikante Renditeeinbussen in Kauf zu nehmen.

Unverändert wichtige unkorrelierte Anlagen

Staatsanleihen haben dieses Jahr bislang keine gute Diversifikation gegenüber Aktien geboten; ausserdem nimmt die Korrelation zwischen diesen beiden Anlageklassen zu. Wir gehen zwar davon aus, dass die Inflation weiter zurückgeht und sie somit die Renditen nicht mehr so stark beeinflussen wird wie in den vergangenen zwei Jahren; weitere Inflationsängste könnten die positive Korrelation zwischen Aktien und Anleihen jedoch noch verstärken. Aus diesem Grund sehen wir weiterhin Vorteile in Anlagen, die nicht mit Aktien korreliert sind, z. B. Katastrophenanleihen (CAT Bonds), Hedgefonds oder Privatmarktanlagen.

Marktinformationen unserer Research-Experten

So sehen wir die Märkte

Die LGT Experten analysieren laufend die globale Markt- und Wirtschaftsentwicklung. Mit unseren Research-Publikationen zu den internationalen Finanzmärkten, Branchen und Unternehmen treffen Sie fundierte Anlageentscheide.

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