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Nachhaltigkeit

Ernährungssicherheit in Asien Wie Länder resiliente Lebensmittelsysteme fördern

Katastrophen, Kriege und Krisen gefährden die Nahrungsmittelversorgung und treiben Lebensmittelpreise in die Höhe. Doch Länder wie Singapur und Indonesien haben Lösungen - dank Innovation und Diversifizierung.

  • von Simon Usborne, Gastautor
  • Datum
  • Lesezeit 10 Minuten

Frauen in Bangladesch mit leeren Schüsseln in einer Warteschlange für Essen
Die Ernährungssicherheit ist eine globale Herausforderung, doch besonders akut ist sie in Asien: Auf dem Kontinent lebt mehr als die Hälfte der Hungernden der Welt, etwa 385 Millionen. Diese Frauen, die in Bangladesch für Lebensmittel anstehen, sind einige von ihnen. © Keystone/EPA/Abir Abdullah

Die politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die zunehmend die internationalen Beziehungen und die Gesundheit der Erde zu bestimmen scheinen, sind chaotisch. Zu den dringendsten Problemen, die dieser Zustand verursacht, gehört die Ernährungssicherheit - oder deutlicher: ihr Fehlen. Die Verfügbarkeit von bezahlbaren Grundnahrungsmitteln ist den Launen der Märkte, des Wetters und der Geopolitik unterworfen und sie zu gewährleisten ein dementsprechend komplexes Thema.

Rice farmer in Vietnam during the wet season
Weite Teile Asiens sind besonders abhängig von Importen und daher anfälliger für Schocks. Singapur und Hongkong, die nur über begrenzte natürliche Ressourcen verfügen, importieren mehr als 90 % ihrer Nahrungsmittel. © Shutterstock/SasinTipchai

Mariam Ashroff LGT
Mariam Ashroff, LGT Sustainability Management Leiterin in Asien

"Den Lebensmittelpreis bestimmt die Dynamik von Angebot und Nachfrage, und Störungen in beiden Bereichen können zu einer erheblichen Ernährungsunsicherheit führen", erklärt Mariam Ashroff, Leiterin des Nachhaltigkeitsmanagements für Asien bei LGT Private Banking in Hongkong. "In den vergangenen Jahren kam es - was selten vorkommt - gleichzeitig zu Angebots- und Nachfrageschocks, was die globalen Nahrungsmittelprobleme verschärft hat."

Ernährungsunsicherheit betrifft nicht nur arme Länder, sondern auch Teile der Bevölkerung in den reichsten Volkswirtschaften. Die Herausforderungen, die Ashroff beschreibt, sind jedoch in ärmeren Regionen besonders ausgeprägt, da diese für die Auswirkungen solcher Schocks anfälliger sind. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) leben in Asien mehr als die Hälfte aller Hungernden der Welt - etwa 385 Millionen Menschen - und damit mehr als in jeder anderen Region. Mit anderen Worten: Obwohl in Afrika der grösste Teil der Bevölkerung von Hunger betroffen ist, hungern in Asien insgesamt mehr Menschen als in Afrika.

Versorgungsschocks werden in der Regel ausgelöst durch:

  • klimabedingte Ereignisse, 
  • Konflikte oder 
  • wirtschaftliche Beeinträchtigungen.

Als der russische Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 die globalen Getreidelieferketten durcheinanderbrachte, war beispielsweise Südostasien der weltweit grösste Importeur von Weizen aus der Ukraine und aus Russland. Gleichzeitige klimatische Schwankungen in wichtigen alternativen Agrarregionen, einschliesslich der USA, haben es Südostasien erschwert, diese Versorgungslücke zu schliessen.

Street market in Hong Kong, people buying and selling food
In den letzten Jahren kam es zu einem seltenen Zusammentreffen von Angebots- und Nachfrageschocks, was die globalen Ernährungsprobleme noch verschärft hat. Hier ein Markt in Hongkong. © Shutterstock/Saipullah Srg

Die Preise für Pflanzenöl, durch die steigende Nachfrage nach Biokraftstoffen aus Sojabohnen und Raps ohnehin unter Druck, wurden durch die Invasion in der Ukraine zusätzlich in die Höhe getrieben. Dürreperioden in Brasilien verstärkten den Effekt ebenso wie protektionistische Massnahmen der grossen Palmölproduzenten in Asien, darunter Malaysia und Indonesien.

In Indonesien geben einkommensschwache Haushalte bis zu 64 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus.

Weite Teile Asiens sind besonders abhängig von Importen und daher anfälliger für Schocks. Singapur und Hongkong, die nur über begrenzte natürliche Ressourcen verfügen, importieren mehr als 90 % ihrer Nahrungsmittel, und Japan deckt etwa 60 % seiner Nahrungsmittel durch Importe.

Solche Unterbrechungen der Versorgungsketten führen nicht einfach nur zu Preiserhöhungen. Sie verstärken häufig bereits bestehende Belastungen, die durch dieselben Faktoren verursacht werden, wie z. B. extreme Wetterbedingungen, Konflikte und wirtschaftliche Turbulenzen. Lebensmittelproduzenten und -exporteure, die bei sinkenden Gewinnen die Löhne kürzen, setzen einen Teufelskreis in Gang, in dem die Arbeitnehmenden weniger Geld für die immer teurer werdenden Lebensmittel zur Verfügung haben.

Filipino people queuing for food
Schlangestehen für gefrorene Makrelen in einem Slum in Manila, Philippinen: Um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, ordnete Präsident Ferdinand Marcos Junior an, beschlagnahmte Kisten mit geschmuggelten, gefrorenen Makrelen an arme Gemeinden zu verteilen. © KEYSTONE/EPA/Francis R. Malasig

Der Preisanstieg wirkt sich unverhältnismässig stark aus und betrifft vor allem diejenigen Länder, in denen die Haushalte den grössten Anteil ihres Budgets für die Ernährung ausgeben. In Indonesien geben einkommensschwache Haushalte bis zu 64 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus - unter anderem auch, weil die Lebensmittelpolitik und Einfuhrbeschränkungen zu überhöhten Preisen führen und damit den Zugang zu gesünderer Ernährung weiter einschränken.

Trend hin zur Ernährungssouveränität 

Die lange Geschichte von einerseits Landwirtschaft für den persönlichen Bedarf und andererseits dem gewerbsmässigen, auf Handel gestützten Anbau zeigt, dass beide anfällig für Schocks unterschiedlicher Art sind. "China mit seiner doppelten Rolle als Land mit mittleren Einkommen und wichtiger globaler Akteur ist ein Beispiel dafür", schreiben Parjiono Cipto Widarto und Chandra Kusuma vom indonesischen Finanzministerium auf der Online-Plattform East Asia Forum (EAF). "Obwohl der Schwerpunkt auf Ernährungssouveränität liegt und China dementsprechende Investitionen in die Modernisierung der Landwirtschaft getätigt hat, bleibt das Land ein bedeutender Importeur von Grundnahrungsmitteln wie Soja und Mais."

Sie erklären auch, dass Nationen ihre Nahrungsmittelversorgung im eigenen Land nach Schocks in der Regel über den Handel stabilisieren. Globale Krisen zeigen jedoch die Risiken einer solchen Abhängigkeit deutlich auf. Mehr Ernährungssouveränität ist gefordert.

"Der Klimawandel verursacht zwei sich gegenseitig beeinflussende Probleme", so Ashroff. "Einerseits ist die globale Nahrungsmittelproduktion für fast ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich und trägt dadurch wesentlich zum Klimawandel bei. Andererseits führen die Folgen des Klimawandels, darunter veränderte und unberechenbare Witterungsverläufe, in wichtigen Agrarregionen zu Überschwemmungen, Dürren und Ernteausfällen."

Innovativere Agrikultur dringend gebraucht 

Die Beseitigung der globalen Ungleichheiten - einige Länder müssen dringend resilienter werden - erfordert umfangreiche Investitionen in die nationale landwirtschaftliche Produktivität sowie in Infrastruktur und Klimaschutz. Indonesien sieht sich selbst als bestes Beispiel für die Verbesserung der Ernährungssicherheit. Nach der Einrichtung einer nationalen Lebensmittelagentur im Jahr 2021 wurden in seinem Haushalt 2025 CHF 8.2 Milliarden dafür bereitgestellt.

Floating market in Thailand, people on small boats selling food
Damit Asien ein resilienteres Lebensmittelsystems aufbauen kann, sind Investitionen in die Modernisierung der Landwirtschaft, regionale Partnerschaften und das Engagement in globalen Plattformen unerlässlich. © istock/RichLegg

Um die Leistungsfähigkeit und die Erträge zu verbessern sowie die Abhängigkeit von Importen weiter zu verringern, investiert das Land in Nahrungsmittelinfrastruktur und -reserven sowie in neue Technologien wie beispielsweise die digitale Präzisionslandwirtschaft. Zudem erhalten die Landwirte Anreize, ihren Anbau über die traditionellen Grundnahrungsmittel hinaus zu diversifizieren, damit bestimmte Nutzpflanzen von Versorgungsschocks nicht mehr so stark betroffen sind. Andernorts hat man auf andere Weise diversifiziert: Singapur hat die Zahl der Importquellen für wichtige Nahrungsmittel erhöht.

Auf der letztjährigen UN-Klimakonferenz (COP29) in Baku wurde beispielsweise im Rahmen der Initiative "Agriculture Innovation Mechanism for Scale (AIM for Scale)" ein Massnahmenpaket in Höhe von fast CHF 1 Milliarde vorgestellt, das Landwirten mit geringem Einkommen in Partnerschaft mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Gates Foundation den Zugang zu guten Wettervorhersagen erleichtern soll.

Resilientere Lebensmittelversorgung 

Gleichzeitig kündigte die Weltbank im vergangenen Jahr eine neue Strategie für den Agrarsektor und die Agrarfinanzierung an. Damit soll für die Agrarindustrie ein ökologisches Netzwerk geschaffen und die Finanzierung bis 2030 auf CHF 8.6 Milliarden jährlich verdoppelt werden. Im Bereich der Klimafinanzierung sollen Regierungen dabei unterstützt werden, Anreize für umweltfreundlichere Praktiken zu schaffen und mehr Finanzmittel für den Agrarsektor zu erschliessen, indem sie Subventionen für fossile Brennstoffe, Landwirtschaft und Fischerei umwidmen.

Auch auf globaler und regionaler Ebene gibt es Massnahmen, welche die Resilienz der Nahrungsmittelversorgung und die Bereitschaft für Notfälle verbessern. So mobilisiert die ASEAN Food Security Reserve kollektive Ressourcen in den beteiligten südostasiatischen Staaten und fördern den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren.

Auf G20-Ebene arbeitet das Agrarmarktinformationssystem (AMIS), das 2011 von den G20-Landwirtschaftsministerinnen und -ministern als Reaktion auf den starken Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise gegründet wurde, an der Verbesserung der Transparenz auf den internationalen Lebensmittelmärkten. Dadurch verfügen die Mitgliedsländer über Daten, durch die sie sich besser auf eine Schocksituation vorbereiten und rascher darauf reagieren können. Das derzeit von Brasilien geleitete Treffen der G20-Agrarwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler fördert Forschung und Innovation in der Landwirtschaft.

"Damit Asien und andere Regionen beim Aufbau eines integrativeren und widerstandsfähigeren Lebensmittelsystems eine Führungsrolle übernehmen können, sind Investitionen in die Modernisierung der Landwirtschaft, regionale Partnerschaften und das Engagement in globalen Plattformen unerlässlich", so Ashroff. Weil die Versorgung mit Lebensmitteln durch Klimawandel und politische Umwälzungen weiter erschwert wird, steht viel auf dem Spiel. Und wie Parjiono und Kusuma es ausdrücken: "Ernährungssicherheit ist nicht nur ein politisches Ziel. Es ist ein grundlegendes Menschenrecht und ein Eckpfeiler der nachhaltigen Entwicklung."

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